KRAFTWERK, Düsseldorf, Grabbehalle, Kunstsammlung NRW (12.01.2013)

KRAFTWERK, Düsseldorf, Grabbehalle, Kunstsammlung NRW (12.01.2013)
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Kraftwerk sind Kult. Und zwar seit über 40 Jahren. Die Elektropioniere aus dem Rheinland haben die moderne Popmusik mit ihren maschinell erzeugten Melodien maßgeblich beeinflusst. Nicht nur New Wave Bands wie OMD, Depeche Mode und Ultravox berufen sich auf den Sound der Menschmaschinen, sondern auch Gruppen wie Coldplay, die in ihrem Song Talk Motive von Computerliebe verwendeten. Nachdem Kraftwerk ihren Katalog 12345678 im New Yorker „Museum of Modern Art“ präsentierten, soll nun auch die Heimatstadt Düsseldorf in den Genuss der Kultband kommen. Die innerhalb einer Stunde ausverkauften Konzerte finden in der Grabbehalle der Kunstsammlung NRW statt. Sparklingphotos war Zeuge der Präsentation des Albums Radioaktivität von 1974.

KRAFTWERK, Düsseldorf, Grabbehalle, Kunstsammlung NRW (12.01.2013)Pünktlich um 20 Uhr erklangen leise, elektronische Klänge, bevor das Saallicht gedimmt wurde und der Applaus der gut 800 Gäste an den Wänden der Grabbehalle widerhallte. Der alles verdeckende große Vorhang fiel herunter und machte den Blick frei auf die Audio Operatoren Ralf Hütter, Fritz Hilpert, Henning Schmitz und Video Operator Falk Grieffenhagen, die fast bewegungslos an ihren Pulten standen, bekleidet mit einer Art Neoprenanzug mit fluoreszierenden Streifen, die passend zu den Songs die Farben wechselten. Kurioserweise begann die Performance nicht mit Geigerzähler, dem ersten Song des 1974er Albums Radioaktivität, sondern mit dem wohl bekanntesten Stück Die Roboter, bei dem die Fans den ersten Eindruck der 3D Show bekamen, als die Arme der künstlichen Menschen auf der Leinwand tief ins Publikum ragten, was bereits für Begeisterungsstürme bei den Zuschauern sorgte. Nun sollte aber schon ein erster Höhepunkt beginnen: Radioaktivität, der in einer neuen, tanzbaren Version und mit aktualisierten Text (“Tschernobyl“, „Harrisburg“, „Selafield“, „Fukushima“) dargeboten wurde. Die Erwartungshaltung war groß, wie das weit über 30jährige Album im neuen Jahrtausend klingen sollte. Man stelle sich die Arbeit vor, die alten Bandaufnahmen zu digitalisieren oder den Text des Tracks Nachrichten herauszuhören. Spätestens bei Radioland war man dann voll im Thema Radio gefangen, die UKW Wellen schienen einen zu durchdringen. Kraftwerk als Sender, der Zuschauer als Empfänger. Bei Ätherwellen erschlugen eben diese als 3D Effekt von der Leinwand fast den Zuschauer, während bei Radiosterne schon eine fast hypnotische Wirkung erzeugt wurde. Die Animationen waren auf gewisse Weise altmodisch und fast als naiv zu bezeichnen. Schön anzusehen war es, dass einige mit 3D Brillen bewaffnete Fans auswichen, um nicht von der Antenne des Satelliten aufgespießt zu werden.

Jeder Song wurde frenetisch beklatscht und zauberte dem einen oder anderen „Musikarbeiter“ on Stage ein kleines Schmunzeln auf die Lippen. Damit die Performance nicht nur einen visuellen Kniff bekam, wurde die Musik im perfekten 5.1 Dolby Surround Ton präsentiert und so war man als Fan umso mehr im Rausch der Töne gefangen. Bei einem Kraftwerk Konzert stehen weniger die Personen im Vordergrund als dass sie Teil der Show, des Systems sind. Mensch und Technik als homogene Einheit. Nach gefühlten fünf Minuten war das komplette Album gespielt und es begann quasi ein „Best of“ des musikalischen Erbes der vier Menschmaschinen. Der Kulttitel Autobahn wurde in einer 14minütigen Version gespielt, bei der keine Langeweile aufkam, da er wie im Original recht abwechslungsreich arrangiert wurde. Bei Trans Europa Express und Metall auf Metall konnte man die Geburt der Industrialmusic noch einmal miterleben, denn letztgenannter Song war noch weit vor Einstürzende Neubauten und Konsorten in den Gehörgängen zuhause. Besonders hier kam der 5.1 Sound besonders gut herüber. Da schepperte Metall von links, von rechts und von hinten. Die meiste Arbeit hatte das einzig übriggebliebene Gründungsmitglied Ralf Hütter, der die meisten Melodien spielte, den Vocoder bediente und sang. Natürlich durfte auch Das Model nicht fehlen, wohl einer der ersten Synthiepop Songs der Welt, dessen Clip mithilfe von 2D Archivaufnahmen präsentiert wurde. Nachhilfeunterricht in Mathematik gab es mit Numbers, bevor Computerwelt ertönte und das fast schon prophetische Heimcomputer (stellt man den Track in den zeitlichen Kontext zum Entstehungsjahr des Songs), KRAFTWERK, Düsseldorf, Grabbehalle, Kunstsammlung NRW (12.01.2013)welcher die Synapsen zum Glühen brachte. In zeitlicher Abfolge wurden ausgewählte Songs aller acht Alben gespielt, seien es Die Mensch-Maschine vom gleichnamigen Album von 1978, Tour de France (wiederum durch 2D Archivaufnahmen und 3-D Effekten visuell garniert), Vitamin vom Tour de France Soundtrack Album aus 2009 (schön hier die sich im Wasserglas auflösenden Tabletten, deren Bläschen in die Gesichter der Zuschauer prickelten) und Tracks von Electric Café (später unbetitelt zu Techno Pop), sowie das selten gespielte Planet der Visionen in einer fast technolastig zu nennenden Version. Detroit, Germany, we’re so electro!

Die Stimmung während des Konzertes kann man getrost als grandios bezeichnen. Jeder Song wurde mit offenem Applaus belohnt, fast fühlte man sich wie in einer Kirche, denn während der Performance war es fast still, so gebannt waren die recht gemischten Fans (Viele Mittvierziger- und Fünfziger, aber auch jugendliche Technoanhänger) aufgrund der Musik und Videoshow. Was nach Technopop kommen sollte war eigentlich klar, kennt man sich ein wenig mit Kraftwerk aus: der letzte Song Music Non Stop erschallte aus den Boxen. Nachdem jeder Künstler ein kleines „Solo“ gespielt hatte, lies sich jedes Mitglied beklatschen und verließ nach und nach die Bühne, bis Mastermind Hütter als letzter das Licht ausmachte, aber nicht ohne ein kurzes „Bis Morgen“ ins Kopfmikro zu sprechen. Wer das Glück hatte, gleich Tickets für mehrere Konzerte zu ergattern konnte sich demnach auf den nächsten Tag und die Präsentation von Trans Europa Express (1977) freuen. Die restlichen Fans waren dennoch glücklich, ihre Helden in einer so tollen Umgebung huldigen zu können.

„Es wird immer weiter gehen’, Musik als Träger von Ideen.“

Setlist:
01. Die Roboter
02. Geigerzähler
03. Radioaktivität (Fukushima Version)
04. Radioland
05. Ätherwellen
06. Sendepause
07. Nachrichten
08. Die Stimme der Energie
09. Antenne
10. Radio Sterne
11. Uran
12. Transistor
13. Ohm Sweet Ohm
14. Autobahn
15. Trans Europa Express
16. Abzug
17. Metall auf Metall
18. Spacelab
19. Das Modell
20. Die Mensch-Maschine
21. Nummern
22. Computerwelt
23. Heimcomputer
24. Tour de France
25. Tour de France Étape 1
26. Vitamin
27. Planet der Visionen
28. Boing Boom Tschak
29. Technopop
30. Music Non Stop

Bilder des Konzerts befinden sich in unserer Konzertfotos Sektion (Bildkommentare sind durch Anklicken der Sprechblase möglich) oder direkt durch Anklicken der Fotos

Autor: Frank Stienen
Fotos: Michael Gamon

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