SOLAR FAKE – Another Manic Episode

SOLAR FAKE - Another Manic Episode
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10 Bewertung

10

Sieben Jahre ist es inzwischen her, dass Sven Friedrich mit Broken Grid die ersten Schritte hinaus aus der Solar Fake’schen Geburtsstube in die weite Welt wagte. Dass das Projekt längst den Kinderschuhen entwachsen ist, zeigte sich bereits deutlich mit dem 2013 erschienenen dritten Album Reasons To Kill. Im Jahr 2015 will das Duo um Sven Friedrich und André Feller nun endgültig beweisen, dass Solar Fake sich nicht im Schatten namhafter Elektro-Szenegrößen verstecken muss, sondern längst seine eigene immense Fangemeinde erobern konnte, die bei Weitem über die Anhängerschar aus Dreadful Shadows- und Zeraphine-Zeiten hinaus geht. Another Manic Episode heißt die neue Platte, die dank Label-Wechsel zu Szene-Größe Out of Line am 30.10.2015 erhältlich ist. Wem die einfache Scheibe nicht reichte, der hatte diesmal die Qual der Wahl zwischen der Deluxe-Doppel-CD inklusiv Bonusalbum mit diversen Cover-Versionen und Remixen und der limitierten Fanbox, welche neben der Bonus CD als absolutes Schmankerl ein Akustik-Album enthält. Und wem das noch nicht reicht, der bekommt diesmal auch Vinyl mit speziell dafür gemasterten Titeln.

Eine neue manische Episode kündigt uns der Titel an und folgt damit konsequent der Entwicklung der Vorgänger. Im Jahr 2008 begann alles mit einem „zerbrochenen Netz“, vielleicht sinnbildlich für den Ausbruch Friedrichs aus seiner bis dato von Gitarrenklängen getriebenen, romantisch-melancholischen Musikwelt. Ausschließlich elektronisch, aggressiv, schonungslos ehrlich sollte es jetzt sein, dabei jedoch melodisch und tanzbar. Was zunächst als ein Projekt begann, zeigt sich jetzt sieben Jahre später in einem sehr erwachsenen, ausgefeilten und anspruchsvollem Gewand.

Zehn Titel umfasst die neue Scheibe – wer leichte Kost erwartet, ist jedoch nicht gut beraten. Vielmehr zeigt sich die Platte tiefgründiger denn je, geht konsequent den mit Reasons To Kill eingeschlagen Weg weiter. Der Titel ist Programm – treibende, progressive Beats, verstörend und beruhigend zugleich, vereinen sich mit schwermütigen, ernsten, depressiv anmutenden und zugleich hilfesuchend-ehrlichen Worten aus der Feder eines Künstlers, der es wie kaum ein anderer beherrscht, diese Kombination in ein extrem tanzbares Gewand zu packen.

Bereits der Einstieg mit Not what I wanted zeigt sich extrem eingängig. „It’s not the time to disappear“ singt Friedrich mit seiner einprägsamen, unverwechselbaren Stimme gleich zu Anfang. Und Zeit zum Verschwinden ist es tatsächlich nicht. Das neue Album beginnt enorm vielversprechend mit einem Opener, der Lust auf mehr macht und den Hörer mit harten, treibenden Beats in Versuchung führt, sich sofort alles Negative von der Seele zu tanzen. Entgegen des Titels ist es ganz sicher genau das, was man sich vom neuen Album erhofft hat.

Weiter geht es härter, EBM-lastiger. Zeit zum Durchatmen bleibt dem Hörer bei Fake to be alive nicht. Darf man nach drei Alben sagen, dass etwas „typisch Solar Fake ist“, dann dieser Titel, der auch bereits auf dem Vorgängeralbum eine Platz verdient haben könnte. Der für Friedrich inzwischen typische Wechsel zwischen melodischem Gesang, geschrienen Passagen und verzerrten Elementen passt jedoch hervorragend zum Albumtitel, bekommt man beim Hören das Gefühl, einem innerlich zerrissenen Protagonisten zu begegnen, der aus seiner eigenen Haut fliehen möchte.

All the things you say – der bereits vorab als Single erschienene, dritte Titel präsentiert sich nach den zwei energiegeladenen Openern ruhiger, zurückhaltender. Einzelne Synthesizer-Elemente steigern sich immer weiter zu einer opulenten club-tauglichen Midtempo-Nummer, die aufgrund ihrer Eingängigkeit großes Potential hat, live zum Publikumsliebling zu avancieren und aufgrund des hoch-emotionalen und gleichzeitig einprägsamen Textes zum Mitsingen einlädt.

Der vorab bereits online als Demoversion veröffentlichte Titel Under Control zeigt sich in seiner finalen Fassung sehr rund, beherrscht, verhalten und mit Friedrichs sanfter Stimme sehr melodisch dargeboten – hier ist tatsächlich alles unter Kontrolle. Und doch sind es die geschickt eingebauten, kleinen Störelemente, die den Bogen zum Albumtitel schlagen und zeigen, wie detailverliebt und ausgefeilt dieses Album daherkommt.

Bereits bei der Mitte des Albums angekommen, präsentiert sich Observer düsterer, manischer, aggressiver als die vorherigen Titel. Man könnte meinen, dass bei der Erstellung des Albumcovers dieser Titel den kreativen Input geliefert hat. Schnell, treibend, ruhelos, mit Texten, die dem Hörer im Wechsel schreiend und flüsternd in den Kopf gesetzt werden. Ein Ohrwurm, der nachhaltig Eindruck hinterlässt.

Langweile kommt bei Solar Fake-Alben für gewöhnlich nicht auf, und so ist auch der nächste Titel erwartungsgemäß abwechslungsreich. Until it’s over ist wohl der Titel, der am ehesten daran erinnert, dass Sven Friedrich mit Zeraphine auch sehr sanfte Töne anschlagen konnte, die hier zwar in ein etwas poppig anmutendes, elektronisches Gewand gehüllt sind, mit ihrem tieftraurigem Text aber für die ein oder andere Träne sorgen könnten.

The race of the rats – der Titel ist so ungewöhnlich für Solar Fake, dass es dem einen oder anderem Überwindung kosten wird, beim ersten Hören nicht gleich zu diesem Stück zu springen. Einer der härtesten Titel Solar Fakes, dennoch mit absoluter Ohrwurm-Garantie. Romantische Melancholie sucht man hier vergebens, dafür zeichnet sich der Titel durch schonungslose Darstellung des Negativen aus.

Hämmernder Bass in Kombination mit Sven Friedrichs glasklarer Stimme, die bei diesem Titel im Vordergrund stehen darf. If I where you kommt sehr puristisch daher, überzeugt ohne große Effekte. Eine sehr geradlinige Nummer, die den Fokus angenehm auf den Text legt und vor den beiden finalen Titeln nochmal Ruhe ins Album bringt.

Zum Ende wird es – wie immer bei Solar Fake – gefühlvoll. Mit I don’t want you in here und Stay bündelt Sven Friedrich so viele Gefühle und Emotionen, dass es einen zu Tränen rührt. Wunderschön arrangiert verbindet der Text von I don’t want you in here alle Emotionen der acht Titel vorher. Die Widersprüchlichkeit der beiden letzten Titel spiegelt noch einmal final den Albumtitel und führt den Hörer ein letztes Mal in eine tief-melancholische Welt. Pianoklänge, düstere Elemente, eine hypnotische Stimme, Herzschmerz at its best. Man mag Balladen mögen oder nicht, dieses Stück zeigt, das elektronische Musik auch fernab von harten Beats und aggressiven Klängen funktioniert und große Gefühle transportieren kann.

Abschließend lässt sich sagen, dass es Solar Fake mit Another Manic Episode gelungen ist, das bereits hochgelobte Vorgängeralbum zu übertreffen und ein Werk zu präsentieren, dass eine perfekte Symbiose zwischen Stimme, Texten und Musik präsentiert. Wer noch nicht genug bekommen hat von wird mit der Bonus-CD zum Album sowie der Akustik-CD sehr viel Freude haben.

„Is it already time to say a last goodbye?“ heißt es in Stay – wir hoffen, dass es noch lange kein Ende für Solar Fake gibt. Das Berliner Duo ist zu einer ernstzunehmenden Größe in der internationalen Elektro-Szene avanciert und man kann nur hoffen, dass man in den nächsten Jahren noch viel von ihnen hören wird.

Tracklist :
01. Not what I wanted
02. Fake to be alive
03. All the things you say
04. Under control
05. Observer
06. Until it’s over
07. The race of the rats
08. If I were you
09. I don’t want you in here
10. Stay

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