Interview : JOACHIM WITT

Interview : JOACHIM WITT
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Ich bin das deutsche Chamäleon!

Joachim Witt ist wieder da. Sechs Jahre lang war es still um einen der wichtigsten deutschsprachigen Künstler unserer Zeit. Witt hat Bayreuth weit hinter sich gelassen und kommt nun mit dem Album Dom ungleich gefühlvoller und authentischer daher. Die Vorab Single Gloria, unterstützt durch einen perfekt inszenierten Videoclip, liefert bereits einen guten Vorgeschmack auf das neue Album. Sparklingphotos sprach mit dem sympathischen Hanseaten über Religion, Beziehungen und die deutsche Sprache.


Wie kam es zum Albumtitel Dom?

Ich hatte mir vorgenommen, inhaltlich ein sehr spirituelles Album zu machen und da fand ich den Namen Dom sehr passend, als Dach dieses emotionalen Events sozusagen.


Mirko Schaffer, der u.a. auch schon mit den „Ärzten“ zusammenarbeitete, hat Dom produziert. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Hast du ihn angesprochen oder kam es per Zufall zustande?

Interview : JOACHIM WITTMichele Leonhard, eine langjährige Freundin von mir hat praktisch das gesamte Netzwerk aufgebaut, ich habe mit ihr telefoniert und sie sagte: „Probier doch Kiko Masbaum, mit dem ich jetzt schon solange zusammenarbeite. Lass uns doch mal zu dritt was versuchen.“ Und dann haben wir es gemacht. Und das war sofort so bahnbrechend, dass wir dann drei oder vier Nummern zusammen gemacht haben. Dann ergab sich aber so eine Art Produzentenverschiebung, es war plötzlich eine Situation eingetreten, wo Kiko so mit anderen Geschichten und Produktionsgeschichten überlastet war, dass er keine Zeit mehr hatte. Und wir mussten ja auch irgendwie vorankommen und somit sind wir praktisch nach Berlin gegangen und Michele hat mir dann Mirko Schaffer vorgestellt. Mirko hat sich die Ideen angehört und hat natürlich auch die ersten Titel im Layout gehört, die wir mit Kiko Masbaum gemacht haben und er war vollends begeistert. Er konnte sich vorstellen, dieses Projekt einfach toll werden zu lassen. Es hört sich so alles so ein bisschen wie im Märchen an um ehrlich zu sagen, aber es ist tatsächlich für mich auch so gewesen, dass diese Personenkonstellation und dieses Team sich plötzlich ergeben hat, so etwas erlebt man glaube ich nicht alle Tage. Auch dass man im Team so gut harmoniert. Ich habe da in meiner Vergangenheit – auch als ich mit Bands zusammengearbeitet habe – eher negative Erfahrungen gemacht. Und insofern war das mal nach langer Zeit eine richtig positive Erfahrung. Ich habe ja in der Zwischenzeit auch immer autark gearbeitet, das meiste selbst komponiert, getextet, produziert. Alles in Personalunion sozusagen. Dieses Mal war es halt so, dass die Sachen schon anders delegiert waren. Wir haben in Dreierteams komponiert und die Texte habe ich im Kern ohnehin alle erst einmal selber geschrieben und als sie dann fertig waren, habe ich mir überlegt: „ich möchte bei dieser tollen Musik (lacht) nicht, das mit den Texten irgendwas in Schieflage gerät“. Weil Musik und Text sollten eine ganz besondere Einheit werden. Anschließend habe ich mit Mario Wässer zusätzlich jemanden ins Boot geholt, mit dem ich zusammen auch noch einmal die Texte durchgegangen bin, wir haben noch Verbesserungen gemacht und er hat noch ein paar eigene Ideen beigesteuert. Das war ein richtig kreativer Schaffensprozess und der ging nur nach vorne, das muss man einfach so sagen. Und das erlebt man einfach nicht alle Tage. Insofern bin ich wirklich sehr glücklich, diese Zeit erlebt zu haben.


Sicherlich ist es auch vielleicht eine Erleichterung, wenn man nicht die ganze Verantwortung hat, man ist nicht alleiniger Songwriter oder Texter. Es ist bestimmt auch irgendwie befreiend, mal ein wenig loszulassen und auch andere ranzulassen. Die CD ist eine Einheit, einfach rund. Es passt jeder Song und man merkt auf jeden Fall, dass Herz dahinter ist.

Ja absolut.


Du bist ein sehr wandelbarer Musiker, hattest deine großen Erfolge während der „Neuen Deutschen Welle (NDW)“, mit deiner „Bayreuth Trilogie“, die der „Neuen Deutschen Härte (NDH)“ zuzuordnen ist und nun kommt das neue Album Dom. Wird es quasi ein drittes Comeback geben?

Ja, Chamäleons gibt es hier in Deutschland sonst nicht (lacht). Ich bin das deutsche Chamäleon.


Sehr schön, wer hat dich so genannt? Oder bezeichnest du dich selbst so? (lacht)

Nein das fiel mir gerade so ein und das Ding ist ja so: du machst Dinge immer nur bis du dir selber auf die Nerven gehst. Der kreative Prozess ist irgendwann dann erst wieder wirklich da, wenn man sich etwas Neues überlegt und sich nicht ständig wiederholt. Und das war so eine Sache nach dieser Bayreuth Geschichte. Ich war ja sehr Gitarren lastig, das ging mir irgendwann auf die Nerven. Ich empfand das einfach so. Übrigens ist es ganz eigenartig: Ich habe jetzt die fertige Produktion irgendwann natürlich im kleinen inneren Kreis meiner Freunde vorgestellt, die erinnerte das Album ein wenig an Pink Floyd. Und da dachte ich: wenn das der Link ist, dann bin ich glücklich. Weil David Gilmour der beste Gitarrist auf der Welt für mich ist. (lacht)


Auf jeden Fall. Kommen wir schon mal direkt zu einer weiteren Frage dazu: Du hast gerade von Pink Floyd gesprochen. Ein Song, der mir persönlich sehr gefällt – ich bin halt schon mehr der „Elektroniker“ – ist Komm nie wieder zurück. Bei der Instrumentierung hört man zuerst „Tangerine Dream“- ähnliche Arpeggios und im Chorus dann Streicher und Pauken, später dann sogar ein Theremin. War der Aufbau des Songs schon beim Schreiben klar oder kamen die Ideen erst im Studio dazu?

Nein, der Aufbau des Songs ist in England entstanden. Wir haben noch mit dem britischen Produzenten Andy Hill zusammengearbeitet. Mit Andy gemeinsam haben wir drei Titel in England produziert. Komm nie wieder zurück ist einer von den Songs gewesen und Hill hat den Titel noch entsprechend neu bearbeitet. Und dabei ist ein Elektroelement mehr hinzugekommen, als vorher beim Layout. Das tut der Nummer gut wie ich finde und ich meine auch, dass Andy das sehr gut gelöst hat.


Du spielst mit religiösen Anspielungen, das Album heißt Dom, die erste Single Gloria und im Videoclip kann man Dich als Priester sehen. Bist du religiös, oder ist es eher so, dass Du den Glauben an sich kritisierst?

Ja, ich habe eher so einen starken inneren Abstand zur konventionellen Kirche und provoziere das dann natürlich mit meiner Musik ein bisschen. Ich benutze diese Anspielungen als Zitat für meine persönliche Spiritualität. Ich finde, es tut den Menschen sehr gut, wenn sie sich selber ernst genug nehmen und auch eben mit sich selbst beschäftigen. Wenn sie ihre Energien mehr fördern und sich nicht zu sehr auf andere Leute, Götter oder auf Religion verlassen. Man kann sich sehr gut auf sich selbst verlassen, wenn man seine inneren Kräfte erkennt und sie fördert. Daran glaube ich ganz fest und ich habe durch das Erkennen der eigenen Persönlichkeit auch einen immer größeren Abstand zur allgemeinen Kirche aufgebaut. Wobei ich die Bauwerke wie Kathedralen, Dome usw. hervorragend geeignet für meditative Einkehr und Konzentrationsgeschichten finde. Das finde ich schon sehr schön, aber eine Predigt kann ich mir heutzutage wirklich kaum mehr anhören.


Interview : JOACHIM WITTDer Videoclip von Gloria ist sehr aufwändig inszeniert und kommt fast wie ein Spielfilm daher. Wer hatte die Idee zu dieser visuellen Umsetzung des Songs? War es Regisseur Specter selber?

Das war Specter, er hat den Song gehört, wir haben uns getroffen und er hat uns entsprechende Bilder geliefert bzw. er hat von Bildern erzählt, die bei uns sofort ganz großartig ankamen. Und diese Bilder sind faszinierend umgesetzt. Gloria bezieht sich inhaltlich auf den Begriff der Liebe schlechthin und das Video konzentriert sich auf die Abgründe. Das ist für mich ein sehr gut kombinierter Kontrast, es war Specters Vorstellungswelt, als er Gloria hörte. Ich war damit absolut einverstanden.


Ist auf jeden Fall sehr spannend geworden und man sieht auch teilweise echt krasse Bilder, hat mir sehr gut gefallen…


Titel wie Jetzt geh oder Komm nie wieder zurück klingen wie eine Abrechnung mit einem ganz bestimmten Menschen. Ist in letzter Zeit in deinem Leben etwas passiert, was Du in diesen Songs verarbeiten musstest?

Ja, mein Leben dauert schon etwas länger und ich habe natürlich auch verschiedene Beziehungen durchlebt. Das sind natürlich partiell immer auch Geschichten, die mich selbst und auch andere Menschen betreffen, die solche Situationen schon erlebt haben. Abschied nehmen z.B. und diese Wut, nicht richtig loslassen zu können, weil die Enttäuschung so groß ist. Über sich selber wütend zu sein, anstatt zu versuchen, eine Freundschaft auch weiterzuführen. Das habe ich ja auch selbst erlebt, und das geht auch. Aber bei Komm nie wieder zurück ist es eher der Härtefall, wo man wirklich keine Toleranz mehr hat. Bei Jetzt geh ist es hingegen etwas anderes, der Song beschreibt eher die Situation, wie jemand rausgeht, wie z.B. ich das kenne, wenn ich auf die Bühne gehe. Der Song beschreibt das, was ich auf der Bühne an Gefühlen vor dem Publikum erlebe. Das ist auch ein Sportthema für mich. Wenn du in der Arena stehst, beim Fußball oder Leichtathletik oder wie auch immer. Wenn du gefordert bist, vor den Augen der Öffentlichkeit entsprechende Leistung zu bringen, bist du ja nicht ohne Druck. Und das ist dieses Gefühl in Jetzt geh: sich selbst anzufeuern, rauszugehen und sich zu präsentieren.


Kommen wir gleich zur nächsten Frage, weil Du es schon angesprochen hast. Ich habe den Songtext irgendwie für mich selbst interpretiert. Deine Texte sind recht offen und interpretierbar. Ist das so bewusst, dass die Fans oder die Hörer sich ein eigenes Bild von der Bedeutung machen sollten?

Also ich finde es schon sehr wichtig, dass der Phantasie auch freien Lauf gelassen wird. Es sind immer Anhaltspunkte für Bilder, die ich natürlich sehr persönlich erlebt habe, die auch andere auf ihre Weise erlebt haben. Es sind einfach Geschichten, die jeder für sich besonders und individuell erlebt hat. Insofern gibt es bei den Songtexten immer Freiräume für Phantasie und für eigene Vorstellungen.


Bei vielen Songs des aktuellen Albums kann man eine nachdenkliche, düstere Stimmung ausmachen, die im Chorus dann in Zuversicht und Optimismus wechselt, so wie im Song Königreich. Spielst Du gerne mit solchen Stilmitteln?

Ja das erlebe ich oft ja selber bei mir selber. Ich bin ja eher ein etwas sentimentaler, manchmal melancholischer Mensch, der – sagen wir mal – nicht immer unbedingt ungesellig ist. Ich bin schon ein nachdenklicher Mensch. Und deshalb brauche ich selber für mich auch immer wieder einen Schub, der mich so richtig in die positive Zone treibt. Und den suche ich mir an Hand von Hilfsmitteln, wie die Musik, die ich gerade mache. Die Musik hat eine wichtige Funktion, ja fast auch schon eine therapeutische Komponente für mich. Ein Hilfsmittel, das auch Hilfe für andere sein kann. Ich spreche die Dinge, die mich beschäftigen so offen an, dass ich mir auch schon eine gewisse Blöße gebe, aber ich finde das irgendwie ganz wichtig, weil wir ja Menschen sind und nicht immer nur ein Plakat vor uns her tragen.


Und gerade als Künstler ist es so, dass man sich – im übertragenen Sinne – auch oft ganz nackt machen muss, dass man alles raus lässt.

Ja, man muss auch den Mut dazu haben.


Erlebst du das öfter, dass Fans nach dem Konzert zu Dir kommen und sagen: „Du hast mir mit diesem Song sehr weitergeholfen, er gibt mir so viel? Wie gehst du mit solchen Sachen um? Kannst du so ein Kompliment annehmen?

Das habe ich oft erlebt, auch in schriftlicher Form. Und so bekommt für mich Musik ihren wirklichen Sinn, weil ich dann denke, ich habe etwas dadurch erreicht und einem anderen Menschen geholfen oder in bestimmten Situationen glücklich gemacht. Das ist das schönste Gefühl, welches man haben kann, wenn man Musik macht oder überhaupt kreativ ist.


Hast du dir schon mal Gedanken gemacht über die Liveumsetzung des Albums? Wie z.B. das Bühnenbild? Ich stelle mir schon so ein Bühnenbild mit einer Kathedrale im Hintergrund vor (lacht). Gibt es schon konkrete Pläne?

Wir sind gerade dabei dies auszuarbeiten. Die Tour an sich ist schon gebucht und steht. Sie wird im März nächsten Jahres stattfinden und wir schaffen gerade die Voraussetzungen mit dem personellen Stab, den Musikern usw. Ich werde eine völlig neue Band aufbauen und wir sind zurzeit damit beschäftigt, die Besetzung aufzustellen.


Du singst deine Musik in deutscher Sprache. Kam es Dir nie in den Sinn, englische Titel zu singen? Oder sagst du einfach: ich kann meine Inhalte besser präsentieren, wenn ich deutsch singe?

Grundsätzlich finde ich die deutsche Sprache ergiebiger. Nicht dass ich sie besser finde als englisch, sondern einfach weil ich die Texte dann auch selber schreiben kann. Interview : JOACHIM WITTEnglische Texte könnte ich nicht selber schreiben, nicht in der Tiefe. Auch nicht mit diesem lyrischen Anspruch. Das würde ich mir nicht zutrauen. Das können dann andere sehr viel besser. In der deutschen Sprache, wo ich mich zuhause fühle ist, haben die Texte dann auch eine wichtige Stärke. Ich bin nicht mit der englischen Sprache aufgewachsen. Ich müsste mir dann auch immer irgendwo Hilfe holen, was natürlich schon irgendwie funktionieren würde. Etwas anderes wäre es noch, wenn man diese deutschen Texte ins Englische entsprechend überträgt und übersetzt. Das ist dann eine inhaltliche Sache, die man leicht übersetzen kann. Aber bisher habe ich das nicht gemacht.


Vielleicht kommt das ja noch (lacht)…

Ja, das weiß man ja nie.


Du förderst auch gerne junge Künstler, wie z.B. Andreas Stitz alias "Leichtmatrose". Wird es eine weitere Zusammenarbeit mit Andreas geben?

Ja, da wird auf jeden Fall eine weitere Zusammenarbeit stattfinden und Andreas ist gerade schon (zusammen mit Thomas Fest – Anm. d. R.) sehr aktiv dabei, neue Songs zu komponieren, an denen auch u.a. Thomas Berlin mitwirkt und für die Produktion zuständig ist. Ich habe die ersten Ansätze schon gehört und das macht sehr viel Mut. Also da kommt bestimmt was sehr Interessantes auf uns zu!


Zunächst freue ich mich nun aber auf dein Album, wann wird es veröffentlicht?

Die Single Gloria am 14. September und das Album am 28. September 2012.


Weißt du auch schon, wie die zweite Single heißen wird? Oder ist das noch nicht geplant?

Das weiß ich noch nicht. Da sind so paar Aspiranten dabei. Zwei, drei andere Nummern, die interessant wären, aber da haben wir uns konkret noch nicht geeinigt.


Magst Du den Lesern von Sparklingphotos noch etwas mitteilen?

Es ist nie zu spät!


Das Interview mit Joachim Witt führte Frank Stienen im September 2012
Redaktion: Kerstin Wurzel
Fotos: (c) Jim Rakete

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